Tabubruch in Deutschland: Mindestlohn wird vom Staat diktiert

Der Weg ist frei für die Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober. Der Bundestag hat den entsprechenden Gesetzentwurf am 3. Juni 2022 verabschiedet, der Bundesrat am 10. Juni 2022 zugestimmt. Damit steigt der Mindestlohn in Deutschland, der im Januar 2022 noch 9,82 Euro beträgt, innerhalb von zehn Monaten um über 20 Prozent. Das kann für einzelne Branchen und Unternehmen zur Zerreißprobe werden und es wird die Lohn-Preis-Spirale wahrscheinlich weiter anfeuern.

Schwerer wiegt jedoch der Tabubruch. Denn bisher hat nicht der Gesetzgeber die Untergrenze für bezahlte Arbeit festlegt, sondern die Mindestlohnkommission, die frei von politischer Einflussnahme entscheiden soll. Zum Gremium gehören neben dem Vorsitzenden je drei Vertreter der Gewerkschaften und der Arbeitgeber sowie zwei beratende Wissenschaftler. Die Gesetzgebung kann den Beschluss der Mindestlohnkommission grundsätzlich nur annehmen oder ablehnen, nicht aber anpassen.

Die politisch motivierte Mindestlohnanhebung macht eine große Zahl bestehender Tarifverträge obsolet, die unter den gesetzlich vorgegebenen 12 Euro liegen. Das gilt auch für Entgeltgruppen, die derzeit über den Mindestlohn liegen, denn hier wird das Lohnabstandsgebot für Lohnsteigerungen sorgen. Das wird verstärkt zur Erosion der Tarifbindung führen, denn warum sollten sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer überhaupt noch in Verbänden und Gewerkschaften organisieren?

Über künftige Anpassungen soll laut den Regierungsplänen weiter die Mindestlohnkommission entscheiden. In einem vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und vom Bundesministerium für Finanzen (BMF) veröffentlichten Eckpunktepapier wird aber nicht nur die Anhebung des Mindestlohns auf mindestens 12 Euro im Jahr 2022 angeregt, sondern auch dessen Weiterentwicklung hin zu einem „Living Wage“ gefordert. Dies bedeutet, dass sich die zukünftige Mindestlohnhöhe am Durchschnittseinkommen orientieren und nicht unterhalb von 60 % des Medianlohns liegen soll.

Die nächste Entscheidung der Mindestlohnkommission ist für den 30. Juni 2023 geplant – für die Erhöhungsstufe 1. Januar 2024.

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