Inflation in der Eurozone – was tun?

Die EU kämpft mit der Inflation: Im Mai betrug die Preissteigerung im Euroraum durchschnittlich 8,1 Prozent. Frankreich und Deutschland lagen mit 5,2 sowie 7,9 Prozent knapp drunter, Großbritannien mit 9,1 Prozent schon deutlich drüber. Die höchsten Inflationsraten verzeichneten allerdings Estland mit 20,1 Prozent und Lettland mit 16,4 Prozent – Preissteigerungen, die Gesellschaft und Bevölkerung massiv unter Druck setzen.

Treiber der Inflation sind in erster Linie steigende Energiekosten sowie gestörte Lieferketten. Die Gründe dafür liegen klar auf der Hand: Die Pandemie hat die global vernetzte Wirtschaft hart getroffen und Lieferketten durcheinandergewirbelt, in China wird die Null-COVID-Politik für weitere Lockdowns sorgen und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine versetzt uns einen weiteren Schock: Energie wird knapp, die Energiekosten schnellen auf Rekordhöhe, aber auch bei Metallen, Feldfrüchten und Holz gibt es Lieferengpässe und Preissteigerungen.

Besteht die Gefahr einer Stagflation?

Stagflation bedeutet das gleichzeitige Auftreten von wirtschaftlicher Stagnation gepaart mit hoher Arbeitslosigkeit, nicht angelasteten Produktionskapazitäten und Inflation. Auslöser ist meistens ein Angebotsschock oder die Verknappung von Waren. Was in der derzeitigen Situation ganz klar fehlt: die Arbeitslosigkeit. In vielen Ländern ist es vielmehr so, dass Arbeitskräfte dringend gesucht werden.

Dennoch sehen wir eine Stagnation und eine Inflation: Im ersten Quartal 2022 lag das Wirtschaftswachstum in vielen Euroländern wie zum Beispiel auch in Deutschland kaum über dem Nullpunkt und die Inflationsrate war so hoch wie seit 40 Jahren nicht mehr. Die aktuell hohen Inflationsraten sorgen schon jetzt für steigende Lohnforderungen. Das könnte zu einer Stagflation führen.

So warnt Bundeskanzler Olaf Scholz in Deutschland vor einer „dauerhaften Inflationsspirale“ und ruft Vertreter von Arbeitnehmern und Arbeitgebern zu einer „konzertierten Aktion“ auf. Am 4. Juli trifft er sich mit jeweils acht Teilnehmern von Gewerkschaften und Arbeitgebern, darüber hinaus sind die Deutsche Bundesbank und der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung mit dabei. Bei diesem Treffen soll darüber diskutiert werden, wie mit der Preisentwicklung weiterhin umgegangen werden soll.

Was kann nationale Politik ausrichten?

Die Ursachen für teure Preise können die einzelnen nationalen Regierungen derzeit nicht beheben. Denn gegen die Inflation würde helfen, wenn überall auf der Welt wieder normal produziert würde, Logistik reibungslos verliefe, Europa wieder reichlich Energie zur Verfügung hätte. Doch genau das ist im Moment nicht zu haben. Das entscheidende Problem ist also das fehlende Angebot – bei Waren und bei Energie.

Die Länder können aber versuchen, die schlimmsten Folgen der Teuerung insbesondere für ärmere Bevölkerungsschichten abzufangen, und eine hartnäckige und hohe Inflation bei dauerhaft niedrigem Wachstum zu verhindern.

Erste Maßnahmen sind sichtbar, dabei gehen die Länder ganz unterschiedliche Wege:

  • Deutschland spendierte der Bevölkerung einen Tankrabatt sowie das 9-Euro-Ticket für den öffentlichen Nahverkehr, einkommensteuerpflichtige ArbeitnehmerInnen profitieren von einer Energiepreispauschale in Höhe von 300 Euro, Hartz-IV-Empfänger erhalten einen einmaligen Zuschuss zum Regelsatz, um die Kosten für Strom aufzufangen, Familien einen 100-Euro-Bonus zum Kindergeld. Ein Masterplan soll nach der „konzertierten Aktion“ vorgelegt werden;
  • Großbritannien zieht den Haushalten im Oktober 400 Pfund (465 Euro) von ihrer Energierechnung ab, Geringverdiener erhalten eine Einmalzahlung von 650 Pfund ((756 Euro), es gibt darüber hinaus Sonderzahlungen für alte Menschen und Menschen mit Behinderung. Bereits im März wurde die Mineralölsteuer um umgerechnet 5,8 Cent gesenkt;
  • Frankreich genehmigte Millionen Haushalten einen 100-Euro-Energiescheck und Geringverdienern einen Inflationsausgleich ebenfalls von 100 Euro, deckelte den Strompreis und hat den Gaspreis bis Juni eingefroren;
  • Griechenland stellt seiner Bevölkerung Hilfsgelder in Aussicht;
  • Polen hat ein Maßnahmen-Paket unter dem Namen „Antiinflationsschutzschild“ eingeführt, das Steuersenkungen und finanzielle Unterstützung für die ärmsten Haushalte umfasst,
  • Spanien senkt deutlich die Mehrwertsteuer auf Strom und die Stromerzeugungssteuer .

Einige Länder heben ihre Leitzinsen an, Tschechien auf nunmehr 4,5 Prozent; Großbritannien jüngst um 0,25 Prozentpunkte auf 1 Prozent.

Die Europäische Zentralbank (EZB) übt den Spagat

Den Weg einer vorsichtigeren Ausgabenpolitik geht nun auch die Europäische Zentralbank (EZB) und versucht dabei die richtige Balance zu finden: Zum 1. Juli 2022 hebt die EZB den Leitzins moderat um 25 Basispunkte an . Im September soll eine weitere Zinsanhebung kommen. Damit werde ein „allmählicher, aber nachhaltiger Pfad“ weiterer Zinserhöhungen eingeschlagen. Für die die EZB ein Spagat: Denn ob es gelingt, die Zinsen zu erhöhen, ohne die Konjunktur abzuwürgen, muss sich erst noch herausstellen.

Der EU-Kommissionsvize Valdis Dombrovskis sagt dazu in einem Interview im Handelsblatt: „Die Periode des billigen Geldes geht ihrem Ende entgegen.“ Auch neue Konjunkturprogramme lehnt Dombrovskis trotz der abflauenden Wirtschaftsdynamik ab: „Wir haben es primär mit einem Angebotsschock zu tun, mit Engpässen und Lieferstörungen. Da hilft es nichts, die Nachfrage fiskalpolitisch zu stimulieren.“

Mehr Zusammenarbeit, mehr Integration

Fakt ist: Die Weltwirtschaft befindet sich im Ausnahmezustand, der Krieg und seine wirtschaftlichen Folgen sind für den Euroraum eine weitere Bewährungsprobe. Noch ist der Euroraum eine heterogene Gemeinschaft, deren Mitglieder sich in Wirtschaftspolitik und -struktur stark voneinander unterscheiden. Die Inflation wird den Druck auf die Bevölkerung, die Gesellschaften und auch auf unsere demokratischen Systeme weiter erhöhen. Bisher haben die Schocks für eine engere Zusammenarbeit geführt. Richtig so: Denn um die Länder der Eurozone widerstandsfähig zu machen, hilft nur eins: eine noch tiefergehende wirtschaftliche und politische Integration.

Aber auch die engere Zusammenarbeit zwischen der EU und den USA kann für mehr Stabilität sorgen: Der EU-USA Handels- und Technologierat (TTC – Trade and Technology Council) wurde erst im letzten Jahr gegründet und sorgt jetzt schon für eine vertiefte Zusammenarbeit. So wurde gemeinsam beschlossen, dass Dual-Use-Produkte, also zivile Güter, die auch in der Rüstungsindustrie genutzt werden können, nicht mehr nach Russland exportiert werden dürfen. Weitere Gruppen des TTC arbeiten an der Sicherstellung der Lieferketten in der Chipindustrie, am Abbau der Handelshemmnisse oder der gegenseitigen Anerkennung von Regulierungen, z. B. in der Pharmaindustrie. Die Wirtschaftsräume der Demokratien rücken zusammen.

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