Global Gateway – klare Signale an Welt und Wirtschaft
Rund 300 Milliarden Euro will die Europäische Union im Rahmen ihrer Global Gateway Strategie in Infrastrukturprojekte investieren – es geht dabei um strategische Autonomie und geopolitischen Anspruch. Damit sind nicht nur in der Politik, sondern auch für die Wirtschaft neue Zeiten angebrochen.
Partner, Konkurrenten, systemische Rivalen
Die China-Strategie der Europäischen Union stammt aus dem Jahr 2019 – schon vor drei Jahren betrachtete die EU Peking nicht nur als Partner, sondern auch als Konkurrent und systemischer Rivale. Seither hat sich das Verhältnis kontinuierlich verschlechtert.
2021 ging die Global Gateway-Strategie an den Start und kann als europäische Antwort auf die Belt Road Initiative (BRI) Chinas angesehen werden, ebenso wie die Build-Back-Better-World-Strategie (B3W) der USA, die zeitgleich beschlossen wurde. Im Juni 2022 folgte die „Partnership for Global Infrastructure and Investments“ zwischen der EU und den USA. Experten sehen darin den Versuch, den beiden Konzepten des Westens mehr Dynamik zu verleihen.
China dagegen war in den letzten zehn Jahren sehr aktiv: Entlang der „Neuen Seidenstraße“ investierte Peking seit 2013 hunderte Milliarden US-Dollar in Projekte zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handels- und Infrastruktur-Netze. Über 140 Länder sind inzwischen am BRI-Projekt beteiligt.
Anders als der werteorientierte Westen setzt China auf Nichteinmischung: In vielen Ländern Afrikas und Lateinamerikas wird China deshalb eher respektiert als die USA oder Europa. China konnte so seinen Einfluss in wichtigen Märkten kontinuierlich ausbauen. Die strategische Bedeutung wurde vom Westen lange unterschätzt.
Inzwischen gibt es aber auch Kritik, wie am Beispiel eines Infrastrukturprojekts in Montenegro: Chinesische Bauvorhaben verteuerten oder verspäteten sich, seien oft umweltschädlich oder erweisen sich als weniger nützlich als erwartet. Zinsgünstige Kredite führten die Länder in die Schuldenfalle und in politische Abhängigkeit.
Die EU investiert – auch in Afrika
Mit Global Gateway will die EU eine attraktive Alternative bieten: Bis 2027 sollen die rund 300 Milliarden Euro in hochwertige Infrastrukturprojekte investiert werden, vor allem in Bereiche wie Digitales, Klima und Energie, Verkehr, Gesundheit, Bildung und Forschung. Voraussetzung: Investitionen und Zusammenarbeit entsprechen den Interessen und Werten der EU: Es geht dabei um Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte sowie internationale Normen und Standards. „Wir werden intelligente Investitionen in hochwertige Infrastruktur fördern, die entsprechend unseren Werten und Standards höchsten Sozial- und Umweltstandards genügen“, erklärt Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission. „Die Global-Gateway-Strategie zeigt auf, wie Europa sich krisenfester mit der Welt vernetzen kann.“
Die Hälfte des Geldes ist für die Zusammenarbeit mit Afrika vorgesehen. Der Kontinent spielt vor allem bei der Energiewende der EU eine wesentliche Rolle. Bis 2030 sollen auf dort Erzeugungskapazitäten für erneuerbare Energien um mindestens 300 Gigawatt aufgebaut werden, erste Projekte in Marokko und Nigeria sind beschlossen.
„Die EU und ihre Mitgliedstaaten haben geopolitische Interessen in Afrika“, sagt Josep Borrell, Außenbeauftragter der EU und macht damit gleichzeitig den Paradigmenwechsel in der Zusammenarbeit deutlich. Die EU müsse „souverän sein in der Welt“ und „die Sprache der Macht lernen“ – so betont es Ursula von der Leyen selbst, so sehen das auch Staatschefs wie Emmanuel Macron.
Neue Risikolage
Die Wirtschaft kennt Handelskonflikte, Sanktionen, staatlich motivierte Investitionen. Doch in den letzten Jahren und Monaten hat sich die Lage weiter zugespitzt. Das Risiko, dass politische Faktoren die Stabilität von Handelsbeziehungen gefährden, ist stark gestiegen. Dazu gehören auch Angriffe auf kritische Infrastruktur: Die EU hält Sabotageakte für real und sehr wahrscheinlich. Das zeigt ein Projekt, das ebenfalls von Global Gateway unterstützt wird: Noch bis Ende des Jahres wird entschieden, ob europäische Unternehmen ein sicheres Satellitenkommunikationssystem in der EU aufbauen werden. Damit soll sichergestellt werden, dass die EU im Falle von Cyberangriffen und Katastrophen, die zu einem Zusammenbruch der terrestrischen Kommunikationsnetze führen könnten, verbunden bleibt. „Satellitentechnologien sind der Schlüssel zur Sicherung der strategischen Autonomie der EU“, erklärten die führenden EU-Abgeordneten des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) des Europäischen Parlaments. Auch diese Initiative zielt darauf ab, die Abhängigkeit der EU von ausländischen Unternehmen zu reduzieren.
Wirtschaft wird zum Instrument der Politik
Angesichts der neuen Risikolage werden Wirtschaft und Handelsbeziehungen verstärkt zu einem Instrument der Politik. Zum einen geht es darum, mit Wirtschaftssanktionen andere Staaten zu Verhaltensänderungen zu zwingen oder mit Subventionen Wirtschaftszweige und Know-how-intensive heimische Industrien zu schützen und zu stützen. Zum anderen soll die Abhängigkeit von Ländern reduziert werden, von denen politische Schwierigkeiten oder feindliche Handlungen ausgehen könnten. In Europa werden mit Unterstützung der EU neuerdings Fabriken für Halbleiter und Computerchips oder für die Produktion von Batterien für E-Autos gebaut – diese Güter kamen vorher fast ausschließlich aus Fernost.
Werte der EU werden in der globalen Wettbewerbsbetrachtung sowie in der Beurteilung von Konsumenten seit Jahren immer wichtiger: Mit dem neuen Lieferkettengesetz unterliegen Unternehmen der EU bestimmten Sorgfaltspflichten und müssen politische und soziale Mindeststandards einhalten, wie die Wahrung von Menschenrechten oder das Verbot von Kinderarbeit. Auch die politisch korrekte Produktion wird immer wichtiger: Im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine haben sich viele Unternehmen aus Russland zurückgezogen – auch weil sie einen massiven Reputationsschaden befürchteten.
Die Unternehmen lernen Friend-Shoring
Wenn politische Differenzen zu einem relevanten Faktor dafür werden, wie viel Handel Länder miteinander treiben, hat das Auswirkungen auf die Lieferketten. Viele Unternehmen prüfen derzeit ihre Wertschöpfungsketten und Absatzmärkte – und ihre Abhängigkeiten. Welche Konsequenzen das hat, zeigt ein Beispiel aus Deutschland: Fast die Hälfte aller deutschen Unternehmen aus dem Bereich „verarbeitendes Gewerbe“ ist laut Umfrage des ifo Instituts auf wichtige Vorleistungen aus China angewiesen. Von diesen Unternehmen plant allerdings auch jedes zweite, die Importe aus China zu reduzieren. Als Gründe geben sie den Wunsch nach einer stärkeren Diversifizierung, den störungsanfälligen und kostspieliger gewordenen Transport sowie politische Unsicherheit an.
US-Finanzministerin Janet Yellen prägte kürzlich den Begriff Friendshoring: Auf einer Veranstaltung des Bretton-Woods-Ausschusses sagte sie, dass Washington daran arbeite, die Integration mit der Europäischen Union und den Ländern des indopazifischen Raums, einschließlich vieler Schwellen- und Entwicklungsländer, zu vertiefen und gleichzeitig mehr Redundanzen in seinen Lieferketten einzubauen. „Friendshoring ist nicht für eine winzige Handvoll von Ländern gedacht. Es ist nicht als Protektionismus gedacht. Es geht darum, Vielfalt zu schaffen und trotzdem die Vorteile des Handels zu nutzen“, sagte Yellen.
Diesen Weg geht auch Europa. Für die Wirtschaft sind damit Einschränkungen und Nachteile, aber auch Chancen verbunden. Politisch ist der Weg vorgeschrieben: „Ein stärkeres Europa in der Welt bedeutet ein entschlossenes Engagement gegenüber unseren Partnern, das fest in unseren Grundprinzipien verankert ist. Mit der Global-Gateway-Strategie bekräftigen wir unsere Vision eines Netzes von Verbindungen, das auf international anerkannten Standards, Regeln und Vorschriften beruhen muss, damit gleiche Wettbewerbsbedingungen gegeben sind“, so die Worte des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell.
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