Fulfillment und Automatisierung – der nächste Evolutionsschritt in der klassischen Paketlogistik?
Auch wenn der E-Commerce wächst: Steigende Kundenerwartungen, Kostendruck und Fachkräftemangel zwingen zu mehr Effizienz. Paketdienste wie auch Unternehmen vieler anderer Branchen investieren deshalb verstärkt in Fulfillment-Leistungen und automatisierte Lager. Denn hier beginnt Effizienz in der Logistik. Gleichzeitig soll der weltweite Markt für Lagerautomatisierung rasant weiter wachsen – von heute über 25 Milliarden US-Dollar auf über 54 Milliarden im Jahr 2029. Sind Fulfillment und Automatisierung also die logische Weiterentwicklung der klassischen Paketlogistik?
Die Lagerhäuser dieser Welt sind die letzten schlafenden Riesen. Die Annahme von Waren, ihre Lagerung, Kommissionierung, Verpackung und ihr Versand sowie die Retouren-Abwicklung – kurz: Fulfillment – werden oft noch von vielen manuellen Prozessen begleitet. Während Paketzentren bereits hoch automatisiert sind, liegen im Warehouse und Fulfillment ungeahnte Potenziale zur Prozessoptimierung.
Kritischer Erfolgsfaktor: Automatisierung und KI
Technologische Lösungen sind bereits erfolgreich im Einsatz: Förderanlagen und Sortiersysteme sorgen für einen reibungslosen Warenfluss. Roboter kommissionieren Artikel, verpacken Sendungen oder palettieren Ware – teilweise Hand in Hand mit Menschen. Fahrerlose Transportsysteme (AGVs) und autonome mobile Roboter (AMRs) bewegen sich selbstständig durch Lagerhallen und übernehmen Transportaufgaben flexibel und rund um die Uhr.
Besonders effizient sind automatisierte Lagersysteme wie AutoStore oder Shuttle-Lösungen, die auf kleinstem Raum tausende Artikel bevorraten und in Sekundenbruchteilen verfügbar machen. Gesteuert werden diese Systeme von intelligenter Software, die Lagerprozesse in Echtzeit analysiert, priorisiert und optimiert.
Auch beim Verpacken spielt Automatisierung eine immer größere Rolle. On-Demand-Verpackungssysteme sparen nicht nur Material, sondern auch Versandkosten. Ergänzt werden viele dieser Lösungen durch KI-gestützte Bildverarbeitung und Sensorik, die Fehler erkennen und Prozesse laufend verbessern.
Das Ergebnis: schnellere Durchlaufzeiten, weniger Fehler, höhere Skalierbarkeit – und eine Lagerlogistik, die bereit ist für die Anforderungen von morgen. Automatisierung in Kombination mit moderner IT und KI wird zum kritischen Erfolgsfaktor.
Onlinehandel ist Vorreiter
Der E-Commerce hat das längst verstanden und ist beim Einsatz von Automatisierung und KI weit vorn: Amazon hat im April 2022 den Amazon Industrial Innovation Fund (AIIF) ins Leben gerufen, ein Förderprogramm in Höhe von einer Milliarde US-Dollar. Das modernste automatisierte Warenlager betreibt Amazon in Shreveport, Louisiana. Dieses hochmoderne Fulfillment-Center erstreckt sich über eine Fläche von rund 280.000 Quadratmetern und integriert Robotik sowie künstliche Intelligenz in nahezu jeden Schritt des Abwicklungsprozesses. Shreveport dient als Modell für Amazons künftige automatisierte Lagerhäuser in aller Welt.
In Deutschland betreibt der Onlineversandhändler beispielsweise über 23 Logistikzentren. 2024 hat das Unternehmen in Erfurt sein größtes Logistikzentrum eröffnet. Mehr als 26 Millionen Produkte können hier gelagert werden. Gut 3.600 Transport-Roboter und 15,4 Kilometer Transportbänder sorgen dafür, dass die Ware aus 80.000 Regalen zum Mitarbeitenden kommt und dann verpackt werden kann. In puncto Roboter-Einsatz ist dieses Logistikzentrum das modernste in Europa.
Paketdienstleister setzen verstärkt auf Fulfillment
Immer mehr Logistik- und Paketdienstleister steigen auch ins Fulfillment ein: DHL, Hermes, DPD und GLS investieren zunehmend in KI, Automatisierung und Robotik – und bieten damit eigene Fulfillment-Lösungen inklusive Lagerhaltung, Kommissionierung, Verpackung und natürlich Versand an.
DHL Fulfillment eröffnete beispielsweise 2023 ein vollautomatisiertes Robotik-Fulfillment-Zentrum im niedersächsischen Staufenberg. Herzstück ist ein 6.000 Quadratmeter großes AutoStore-System. In einem 16 Ebenen hohen Aluminium-Grid lagern 196.000 Behälter, auf deren Oberfläche 160 Roboter vollautomatisch Waren kommissionieren. An 21 Ports übernehmen Mitarbeitende die Weiterverarbeitung und Versandvorbereitung.
Die GLS Group wiederum hat 2023 die Versandmanufaktur GmbH übernommen, die auf E-Commerce-Fulfillment für den Mittelstand spezialisiert ist. In deren Fulfillment-Center wurde eine Automatisierungslösung mit 14.000 Lagerplätzen, 64 Robotern und acht Packstationen implementiert, um die Fulfillment-Abläufe zu optimieren und den steigenden Anforderungen im E-Commerce gerecht zu werden.
Hermes Fulfillment, Teil der Otto Group, setzt in Haldensleben seit 2023 den Entladeroboter Stretch von Boston Dynamics ein. Er entlädt selbstständig Pakete mit bis zu 23 Kilogramm bei einer Rate von 500 Stück pro Stunde.
Paketlogistiker sehen im Fulfillment die perfekte Gelegenheit, tiefer in die Wertschöpfungskette einzusteigen. Die Idee dahinter: Wer Lager, Technik und Zustellung aus einer Hand bietet, ist schneller, effizienter – und für viele E-Commerce-Anbieter der ideale Partner in einer zunehmend automatisierten Handelswelt. Das eröffnet neue Umsatzquellen vor allem mit kleinen und mittleren Onlinehändlern, die ihre Logistik outsourcen möchten. Paketdienste werden zu Logistikplattformen mit eigenen Fulfillment-Lösungen.
Hohe Investitionskosten und komplexe Integration
Ob das gut geht, ist eine Frage der finanziellen und personellen Ressourcen – und der strategischen Ausrichtung des Unternehmens.
Automatisierte Lagersysteme erfordern erhebliche Anfangsinvestitionen, für Hardware, Software, Integration und Schulung. Die Amortisation dauert oft mehrere Jahre. Zudem arbeiten viele Lager, soweit sie schon bestehen, mit gewachsenen, oft heterogenen IT-Systemen und manuellen Abläufen. Die Einführung automatisierter Systeme erfordert tiefgreifende Eingriffe in Prozesse, IT und ggf. die bauliche Struktur.
Für Planung, Betrieb und Wartung automatisierter Systeme braucht es außerdem qualifiziertes Personal – sowohl auf technischer als auch auf IT-Seite. Doch der Fachkräftemangel erschwert es vielen Unternehmen, diese Systeme effizient einzuführen und zu betreiben.
Von den operativen Abläufen über Kunden und Kundengewinnung bis hin zum Know-how – das Geschäft der Lagerhaltung unterscheidet sich von der Paketlogistik fundamental. Ob sich der Aufwand lohnt, um mit zusätzlichen Fulfillment-Leistungen einen verbesserten Zugang zum E-Commerce-Markt zu gewährleisten, ist strategisch abzuwägen.
Geschäftsrisiken abwägen – vor allem in volatilen Zeiten
Fakt ist: Der E-Commerce wächst ungebrochen, und mit ihm die Anforderungen an Schnelligkeit, Skalierbarkeit und Transparenz in der Logistik. Umso wichtiger ist die Automatisierung der Läger. Im Jahr 2024 hatte Nordamerika hier den größten Marktanteil. Europa holt bereits auf. Schätzungen zufolge wird jedoch der asiatisch-pazifische Raum im Prognosezeitraum 2024 bis 2029 das höchste Wachstum in diesem Bereich erzielen.
Automatisierte Lagerhaltung ist besonders sinnvoll, wenn Unternehmen mit hohen Durchsatzmengen, 24/7-Betrieb und geringen saisonalen Schwankungen arbeiten. Insbesondere in Branchen wie E-Commerce, Automobilindustrie und Lebensmittelhandel, wo hohe Anforderungen an Lieferzeiten und Bestandsgenauigkeit bestehen, kann eine automatisierte Lagerhaltung die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit erheblich steigern.
Neben Paketdienstleistungen auch Fulfillment-Lösungen aufzubauen, kann eine lohnende und interessante Unternehmensstrategie sein. Allerdings fallen Fulfillment und automatisierte Lagerlösungen traditionell in die Kontraktlogistiksparte und haben mit der klassischen Paketlogistik nicht viel zu tun. Der Geschäftszweig muss deshalb strategisch gewollt sein – ausreichend finanzielle und personelle Ressourcen sind die Voraussetzung, um den Aufbau und Weiterentwicklung voranzutreiben. Kein Problem für international agierende Logistikkonzerne: Ihre Geschäftssparten werden nicht nur nebeneinander aufgebaut – sie befruchten sich auch gegenseitig.
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