Krieg in der Ukraine – Zäsur für Politik und Wirtschaft

Der großangelegte Krieg in der Ukraine bringt nicht nur unendliches Leid über 40 Millionen Menschen, die um ihr Land kämpfen, in Angst und katastrophalen Umständen leben oder auf der Flucht sind. Dieser Krieg wird zur historischen Zäsur – und hat weltweit entscheidenden Einfluss auf die politische Ordnung, Handel und Wirtschaft.

Putins Welt

„Wandel durch Handel“ ist ein viel zitiertes Motto des Westens. Der zugrundeliegende Gedanke dahinter: Durch wirtschaftliche Verflechtungen gewalttätige Konflikte zu verhindern, durch Handelskontakte die Idee von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in die Welt zu tragen.

Putins Welt ist eine fundamental andere. Das wurde spätestens seit der Annexion der Krim 2014 deutlich. Er sieht die Ukraine als Kernbestandteil der russischen Welt, folgt dabei einem Ideologie-Mix, der kulturelle und historische Konzepte (Russki Mir / Kiewer Rus) mit antiwestlichen, antiliberalen und neoimperialistischen Ideen verbindet.

Der Zerfall der Sowjetunion ist aus Putins Sicht „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts”. Durch die NATO-Osterweiterung sieht sich Russland provoziert. Im Februar 2022 beginnt Putin einen großangelegten Krieg auf die Ukraine und verstößt damit eklatant gegen das Völkerrecht.

Sanktionen als scharfes Schwert

EU und USA sowie weitere internationale Partner reagieren prompt mit scharfen Sanktionen, um die russische Wirtschaft und die politische Elite zu schwächen: So wurden russische Banken vom SWIFT-System ausgeschlossen, der EU-Luftraum für alle russischen Flugzeuge geschlossen, der Export und Verkauf von Flugzeugen und Ausrüstung an russische Fluggesellschaften verboten, genauso wie gezielte Exporte in Schlüsselindustrien wie Energie, Halbleiterproduktion oder Öl- und Gasförderung verboten sind. Zu einem geschlossenen Öl- und Gasembargo konnte sich die EU nicht durchringen, zu groß die Abhängigkeiten, insbesondere seitens Deutschland.

Rohstoffe und Abhängigkeiten

Dass es am Ende um Rohstoffe gehen wird, ist klar: Putin fordert die Bezahlung der Kohle-, Gas- und Öllieferungen in Rubel, die EU lehnt ab, Frühwarnstufen werden aktiviert. Klar ist auch, dass sich der Westen in den nächsten Jahren vom Öl und Gas Russlands unabhängig machen muss und wird. Das braucht Zeit und ist teuer. Im Moment berge ein Stopp dieser Lieferungen für Deutschland das Risiko, „dass die deutsche Volkswirtschaft in eine tiefere Rezession abrutscht und die Inflation noch stärker zunimmt“, warnt Ökonomin und Wirtschaftsweise Monika Schnitzer.

Aber es geht auch um viele andere Rohstoffe, von denen der Westen und die Welt abhängig ist und deren Lieferung ins Stocken gerät: Ob Nickel, Palladium oder Neon: Die Autoindustrie gerät unter Druck, der Ausbau der Elektromobilität ins Stocken, denn allein der Anteil des hier verbauten Nickels kommt zu über 40 Prozent aus Russland. Der Preis hatte sich zwischenzeitlich fast verfünffacht. Der Preis für Aluminium ist um 74 Prozent gestiegen, denn das russische Unternehmen RUSAL ist einer der größten Aluminiumhersteller der Welt . Und auch Stahl wird knapp und teuer, weil Unternehmen wie Severstal in Russland jetzt andere Märkte bevorzugt beliefern und in der Ukraine die Produktion kriegsbedingt stockt.

Woran es hierzulande der Industrie mangelt, fehlt in anderen Ländern auf dem Teller: Russland und die Ukraine sind in vielen Ländern für fast ein Drittel der Weizenimporte verantwortlich. Mit weiteren Millionen Hungernden ist zu rechnen.

Schockwellen des Krieges

Die Weltwirtschaft ist durch den Krieg mit einem dreifachen Schock konfrontiert: Die geopolitische Ordnung, wie sie sich nach dem Ende des Kalten Krieges dargestellt hat, wird sich definitiv verändern, aber wie genau ist ungewiss. Viele westliche Unternehmen haben sich bereits dazu entschlossen, den Handel mit Russland zu boykottieren oder sich ganz aus dem Geschäft mit Russland zurückgezogen. Sie werden Einbußen hinnehmen und sich neue Märkte und Geschäftsfelder suchen müssen.

Auch die zweite Schockwelle spüren wir bereits deutlich: Der internationale Handel wird in den Bereichen Energie, Nahrungsmittel, Metalle, Düngemittel und Luftfracht durcheinandergewirbelt – mit Lieferausfällen oder -stopps und sprunghaft steigenden Preisen. Auch die Logistik stockt: Große Reedereien laufen Russland nicht mehr an, Züge aus dem Osten Chinas kommen kriegsbedingt nicht mehr reibungslos durch die Ukraine. Bei der Beschaffung von Rohstoffen und Waren stehen viele Länder und Unternehmen vor einer Mammutaufgabe: Es müssen neue Quellen erschlossen, neue Verträge verhandelt und neue logistische Lösungen gefunden werden.

 

Demokratie gegen Autokratie, offene gegen geschlossene Gesellschaft, regelbasierte multilaterale Weltordnung gegen eine Weltunordnung, in der allein die Macht des Stärkeren zählt.

Matthias Brüggmann, Julia Buschmann, et al.,
handelsblatt.com

 

Bei der dritten Schockwelle geht es um Finanzierung und Kosten: Zahlungsausfälle russischer und ukrainischer Unternehmen bergen das Risiko einer Ansteckung anderer Länder. Die steigenden Rohstoffpreise werden Europa härter treffen als die USA, denn in der EU ist die Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten am stärksten – und der wichtigste makroökonomische Spillover-Effekt geht am Ende von den Rohstoffpreisen aus. Die Abkehr von Gas, Öl und Kohle aus Russland dürfte insbesondere den Industriestandort Deutschland hart treffen: Die Energiewende steckt erst in den Kinderschuhen. Aus der Not will die Regierung jetzt eine Tugend machen und die Krise nutzen, um die Wirtschaft zur Klimaneutralität zu transformieren.

Droht ein neuer Kalter Krieg?

Während die westliche Staatengemeinschaft gegenüber Russland geschlossen Position bezieht, rückt Russland enger an China. Ost wie West stecken international ihre Positionen ab, ob in Indien, Asien, Afrika oder Latein-Amerika. Entscheidend für den Konflikt wird allerdings die Frage, wie stark China an der Seite Russlands steht und Moskau hilft. Denn China ist der ökonomisch sehr viel mächtigere Rivale des Westens. Damit zeichnen sich die Blöcke ab wie in einem neuen Kalten Krieg: „Demokratie gegen Autokratie, offene gegen geschlossene Gesellschaft, regelbasierte multilaterale Weltordnung gegen eine Weltunordnung, in der allein die Macht des Stärkeren zählt.“

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