M&A in der Logistik – das Interesse ist hoch, das Risiko auch

Die Transport- und Logistikbranche hat im Bereich Mergers & Acquisitions (M&A) 2021 ein nie gekanntes Hoch erlebt. Im ersten Halbjahr 2022 ist die Zahl der Transaktionen nun erstmals wieder gesunken. Angesichts zunehmender wirtschaftlicher Unsicherheiten werden Investoren zurückhaltender. Zwar bleibt das Interesse an Unternehmensübernahmen hoch – die Risiken aber auch.

„The Times They Are A-Changin‘“ – der Song von Bob Dylan ist aktueller denn je. Denn wir leben in Zeiten des rasanten Wandels und noch ist nicht sicher, wohin uns der Weg führt. Corona ist nicht ausgestanden, Russlands Krieg in der Ukraine belastet die Lieferketten und verursacht neue handelspolitische Konflikte. Unterdessen nehmen die Auswirkungen der Klimakrise zu, die Energie- und Rohstoffpreise steigen. Neue regulatorische Anforderungen sind aufwändig umzusetzen und teuer. Ein ganzes Bündel an Herausforderungen zwingt die Unternehmen zu tiefgreifenden Anpassungen.

Konsolidierung in vollem Gange

„Die Konsolidierung in der Transport- und Logistikbranche schreitet rasch voran und das Interesse an Unternehmensübernahmen ist hoch“, sagt Rico Back, Managing Partner der SKR. „Allerdings sind Übernahmen heute mit erheblichen Risiken behaftet, die eingepreist werden müssen.“ Und dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen: Angesichts der Gefahr einer bevorstehenden Rezession ist von Nachfrageschwächen und zurückgehenden Transportvolumina auszugehen. Gleichzeitig steigen die Kosten für Personal und Energie – auch die notwendigen Anpassungen an regulatorische Vorgaben und die digitale Transformation sind aufwändig und kostenintensiv.

„Wichtig ist, die Strategie für Übernahmen klar zu setzen, die Transaktionen vor dem Hintergrund langfristiger Entwicklungen zu betrachten und den Übernahmepreis richtig einzuschätzen“, so Back. „Dann lässt sich aus der Transaktion künftig ein Mehrwert entwickeln.“

Fünf Gründe für Investitionen und Übernahmen

Die Treiber für M&A sind vielfältig. Besonders häufig spielten in den vergangenen Monaten und Jahren die folgenden fünf Ziele eine handlungsleitende Rolle:

Treiber Nr. 1: Lieferketten absichern
Wirtschaftsunternehmen, aber auch Staaten haben längst begonnen, ihre Lieferketten stärker abzusichern. Infrastrukturziele waren im M&A-Boom begehrt. Für Investitionen in Lager- und Logistikimmobilien sowie Häfen sind die Preise über den Zehn-Jahres-Durchschnitt gestiegen. Mit diesen Investitionen sind wirtschaftsstrategische und oft auch geopolitische Interessen verbunden. Beispiel China: In den letzten Jahren flossen Milliarden Dollar direkt oder über staatliche Unternehmen in europäische Häfen, um der Volksrepublik im Rahmen des Projekts Neue Seidenstraße den Zugang bis in die wirtschaftlich starken Zentren zu sichern.

Treiber Nr. 2: Marktmacht ausbauen
Hohe Preise, hohe Kosten, Margendruck – ein neuer Trend in der Logistikbranche. Die Folge ist Konsolidierung: Kleinere Akteure, die mit der technischen Entwicklung und mit den Anforderungen seitens Kunden oder Politik nicht mehr mithalten können, werden durch stärkere Player übernommen. Selbst große Unternehmen werden so zu Übernahmezielen. Der dänische Logistikkonzern DSV hat zum Beispiel in kurzer Zeit Panalpina und die Logistiksparte von Agility GIL übernommen und ist jetzt an DB Schenker interessiert.

Treiber Nr. 3: Vertikale Integration
Neben Investitionen ins eigene Kerngeschäft zielen Transaktionen darauf ab, das Business entlang der Supply Chain auszuweiten und in die Kundenprozesse zu integrieren. Paketdienstleister kaufen Citylogistiker oder Kurierunternehmen, um Dienstleistungen auf der letzten Meile schneller und nachhaltiger zu erbringen. Reedereien übernehmen Spediteure, um direkten Zugang zu den Verladern zu haben – wie zum Beispiel die A. P. Møller-Mærsk Group, die Ende 2021 die Hongkonger LF Logistics für 3,6 Milliarden Dollar kaufte und damit in ihre Logistikaktivitäten an Land investierte.

Treiber Nr. 4: Innovationen vorantreiben
Ob fortschreitende Digitalisierung oder die Umsetzung von Nachhaltigkeits- und Klimaaspekten: Die Innovations- und Wandlungsbereitschaft der Transport- und Logistikbranche kennt keine Grenzen. Bei digitalen Marktplätzen, nachhaltigen Lieferkonzepten und alternativen Kraftstoffen sind Neugründungen oftmals schon einen Schritt weiter als die etablierten Marktgrößen. Viele Unternehmen investieren in Start-ups oder übernehmen sie gleich selbst, wobei Europa hier wesentlich zurückhaltender ist als China oder die USA.

Treiber Nr. 5: Neue regulatorische Vorgaben meistern
European Green Deal, ESG, EU-Taxonomie, Sustainable Finance – Unternehmen überprüfen derzeit ihre Systeme und Prozesse, passen sich an wandelnde Anforderungen an und verstärken ihr Risikomanagement. Es geht um Transparenz sowie um Nachhaltigkeit entlang der gesamten Supply Chain. Hier können Käufe und Verkäufe helfen, nationale und internationale Tätigkeiten nachhaltiger und ressourcenschonender zu gestalten.

Die Verlockung ist groß – das Risiko auch

Laut Analyse des „Transport & Logistics Barometers“ haben sich nicht alle Bereiche der Branche gleichermaßen gut entwickelt. Während KEP-Dienstleister seit Beginn der Pandemie durch den Online-Handel einen Boom erlebt hätten, sei der Preis für Transport- und Logistikunternehmen insgesamt auf dem Transaktionsmarkt auf ein Zehnjahrestief gefallen.

„Das Interesse an Investitionen und Übernahmen bleibt zwar nach wie vor hoch, die Zeit der Mondpreise ist jedoch vorbei“, sagt Rico Back. „Denn der Ausblick auf die weitere wirtschaftliche Entwicklung ist spürbar eingetrübt: Das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone stagniert, die Energiekrise befeuert die Inflation und die OECD korrigiert die Wachstumsprognose für die Weltwirtschaft nach unten.“

Es gilt, die Risiken von M&A-Transaktionen durch sorgfältige Prüfungen und Stresstests zu reduzieren. Dafür stehen unternehmensintern oder extern Experten zur Verfügung, die den Prozess systematisch angehen, Daten und Informationen gründlich prüfen. Dann lassen sich auch in volatilen Zeiten durch gezielte Transaktionen klare Wettbewerbsvorteile erzielen.

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